Reisetagebuch Israel/Palästina Tag 5/2 – Jerusalem

Als Kinder haben wir „Die Reise nach Jerusalem“ gespielt und ich habe mich immer gefragt, warum gerade Jerusalem? Und wieso kommen nicht alle an, die wollen, weshalb muss man dieses blöde Spiel so lange spielen, bis nur noch ein einzelner übrig ist, der reindarf, allein macht das doch gar keinen Spaß?
Heute bin ich nicht allein. Unser Bus hat für alle Platz, alle dürfen mit. In Yad Vashem ist für einen Moment die Zeit stehen geblieben. Aber dann geht es doch weiter, es geht ja immer weiter, so oder so oder so.
Jerusalem: Wie immer bin ich unvorbereitet. Auf der Fahrt rasch im Reiseführer das Allerwichtigste überflogen. In meinem Kopf ein Gewirr von Namen, Ölberg, Gethsemane, Al Aqsa Moschee, Felsendom, Tempelberg, Via Dolorosa, Stadtmauer, Klagemauer, Jüdisches Viertel, Muslimisches Viertel, Armenisches Viertel, Christliches Viertel und Kirchen, Kirchen, Kirchen. Das alles auf einem Gebiet von ein paar Quadratkilometern.
Es ist Freitag. Die Stadt voller Menschen. Alle auf dem Weg irgendwohin: in den Sabbat, zum Sightseeing, zum Shopping, zum Freitagsgebet. Zur Klagemauer, an der vielleicht schon Jesus gebetet hat. Von weitem erhascht man einen Blick auf die goldene Kuppel im Tempelbezirk.
Die Klagemauer ist in einen Männerbezirk und einen Frauenbezirk eingeteilt. Der Männerbezirk ist doppelt so groß wie der für die Frauen und schön. Der Frauenbezirk ist voll. Überfüllt. Vor der Mauer drängen sich Frauen jedes Alters mit und ohne Kopftuch, mit und ohne Kinderwagen, große Mädchen, kleine Mädchen. Es wird geweint und laut geklagt, gebetet, gemurmelt, geseufzt. Hände pressen sich gegen die Mauer, in deren Ritzen Zettelchen und Papierfetzen bedeckt mit stummen Klagen in Schriftform stecken.
Von der Klagemauer geht es durch den Souq der Altstadt zur Erlöserkirche. Wir haben dort ein Date mit der Pfarrerin der Deutschen Gemeinde. Das Gespräch knüpft an unsere Eindrücke beim Passieren der Westbank und morgens in Yad Vaschem an. Wieso dieser rigide menschenverachtende Umgang der Israeli mit den Palästinensern nach ihren Erfahrungen der Shoah? Keiner von uns bringt das in seinem Hirn zur Deckung. Die Pfarrerin sagt: Wir wollen nach dem Holocaust nie wieder Täter sein, sie (die Israeli) nie wieder Opfer.
Ich denke: Es ist wie der Blick in einen Spiegel – Man sieht das Gleiche, bloß seitenverkehrt. Den Gedanken mit dem Spiegel habe ich abends, als wir Jerusalem verlassen und durch den Checkpoint nach Bethlehem in der Westbank fahren, noch einmal. Zum ersten Mal sehe ich die Mauer. Ein Betonbau, doppelt so hoch wie das ehemalige Berliner Schwestergebilde, mit Stacheldraht aufgestockt und teilweise mit Graffiti besprüht. Die Israeli haben diese Mauer hochgezogen, als Schutzwall gegen die Palästinenser. Und wieder muss ich denken: Die spiegeln uns – auf gleichermaßen groteske wie irgendwie fast lächerliche Art.
Von Lichtblicken hat die deutsche Pfarrerin auch gesprochen. Hat erzählt von Rabbinern für Menschenrechte, die sich derzeit als menschliche Schutzschilde vor die Palästinenser stellen, die von den jüdischen Siedlern an der Olivenernte gehindert werden. Für die Zukunft sieht sie dennoch schwarz. Für den jüdischen Mainstream sind die Palästinenser Terroristen, mit denen man nicht reden kann. Die Bevölkerung ist so beschäftigt mit dem Pflegen ihrer internen Feindbilder, dass für andere drängende Probleme keine Zeit bleibt. Klimaschutz? Fehlanzeige. Das Thema ist in Israel noch gar nicht angekommen. Es gibt in diesem Land, das Wüste im Überfluss und alle Sonne der Welt hat, so gut wie keine Solarparks. Von irgendwelchen Alternativen zur Plastikseuche erst gar nicht zu reden.
Der Tag in Jerusalem war zu kurz.
Vielleicht gibt es am Sonntag eine Neuauflage.

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