Reisetagebuch Israel/Palästina Tag 2 – Haifa

Der Tag beginnt um 7.30 Uhr mit einem Seufzer.
In das Konzert von Zikaden und Schafen hat sich zu später Stunde Hundegebell gemischt, das nicht aufhören wollte.
Heißwasser gibt es nur im Tauchsieder. Für einen Nescafé auf dem Zimmer reichts. Das hastige Zusammenpacken des am Vorabend Ausgepackten bringt einen auch ohne warme Dusche ins Schwitzen. Und draußen hat es um viertel nach acht schon um die 30 Grad.
Nach Katzenwäsche kommt (für mich) Katzenfrühstück und dann (für alle) die Begegnung mit Bob, dem Botschafter des Neve-Shalom-Dorfs. Dieses ist ein „Präzedenzfall“, erklärt er: Gegründet wurde es in den 60er Jahren von drei arabischen und drei jüdischen Familien, die die Absicht hatten, in Frieden zusammen zu leben. Heute umfasst das Dorf 600 Einwohner, ein Begegnungszentrum, Kindergarten, Schule. Kinder sehen wir keine, ihr fröhlicher Lärm tönt aus dem nahegelegenen Schwimmbad, recht so.
Ob der Ort nun auf jüdischem Territorium liegt oder in der Westbank, bekomme ich nicht heraus. Schon am Abend zuvor haben mich die wild durcheineinanderlaufenden gestrichelten Grenzlinien auf meiner Dumont-Reiselandkarte verwirrt. Logisch ist in diesem Land gar nichts, es gibt weder einfache Antworten noch glatte Lösungen, aber das war mir eigentlich schon vorher klar?
Mit dem Reisebus geht es nach Haifa, der Stadt am Meer und auf dem Karmel. Die 70 Kilometer kriechen wir in Staub und Stau und brauchen dafür zwei Stunden. Die ausgedörrte Landschaft trägt auch nicht zur Unterhaltung bei, wohl aber Reiseleiterin Iman mit allerlei kuriosen Infos.
Beispiel: Weiß jemand, wie viele Kinder strenggläubige Juden im Schnitt zeugen? Richtig: 8. Muslime? 5. Christen und Drusen? 3 – 4. Ich habe vergessen zu fragen, ob es Religionslose gibt, und ob sie weniger Kinder haben.
Beim Verlassen des Busses in Haifa Überfall von einem heißen Wind, als würde man mit Stufe 3 gefönt. Längerer Fußmarsch in der Mittagshitze (wie war das noch mit Hinterherdackeln?). Ich fange gleich Feuer und gehe in Flammen auf. Dann finden wir die Räumlichkeiten der christlichen Partnergemeinde doch noch und werden gerettet. Es gibt kaltes Wasser. Erkenntnis des Tages Nummer 1: Flüssigkeit schmeckt auch aus Plastikbechern zum Wegwerfen, man muss nur vor dem Verdursten sein.
Erkenntnis der Tages Nummer 2 folgt auf dem Fuß: Israelisch ist nicht gleich jüdisch, arabisch ist nicht gleich muslimisch. Der anglikanische Pfarrer, der uns über seine Arbeit erzählt, ist CHRIST ist UND Israeli UND Araber. Noch Fragen? An der Wand des Gemeindesaals ein monumentales Kreuz, bedeckt mit arabischen Lettern. Die Christen in Israel werden zerrieben zwischen radikalen Juden und radikalen Muslimen. Das sagt der Geistliche ganz offen. Sie stehen ihrerseits für Liebe und Frieden – und sie sind eine Minderheit.
Draußen hat sich ein Gewitter zusammengeballt. Das Essen in einem Schnellrestaurant an der Straße, Humus mit Gemüse und Salat, schmeckt ausgezeichnet und wird zur Abwechslung mal auf Porzellan und mit echtem Besteck gereicht. Den Espresso bekommt man gleichwohl auch hier in winzigen Pappbechern.
Der Ausflug auf den Karmel und zur Karmeliterkirche Stella Maris mit Fresken aus dem Leben des Propheten Elia findet statt, fällt aber mehr oder weniger ins Wasser. Der Regen ist Erleichterung und Ärgernis zugleich. Keiner hat einen Schirm dabei. Den Ausblick über Stadt und Meer genießen wir dennoch – pudelnass. Entlang der Straße, die vom Hafen herauf zum Bahai Schrein mit der Goldenen Kuppel führt, haben die Korntaler Christen einst ihre Häuser gebaut – im festen Glauben, dass Jesus, wenn er wiederkommen würde, diesen Weg nähme. Kein Witz.
Fahrt über die Berge zum See Genezareth. Ich schlafe. Der See liegt 200 Meter UNTER dem Meeresspiegel. Bei der Ankunft im Kibuz gibt es Ananassaft – in Plastikbechern.
Die kleinen Appartements auf der weitläufigen Anllage mit viel Grün sind gemütlich, jedes hat eine Terrasse. Hier fühle ich mich wohl, freue mich darauf, zwei Nächte zu bleiben. Nach vorzüglichem Abendessen sitze ich lange draußen und schreibe. Auf dem Gelände treffen Menschen aller Nationen, Generationen, Religionen zusammen, außerdem gibt es Katzen und Kätzchen, jede Menge. Die Nacht ist warm, duftet nach süßen Blüten, ein bisschen wie in Costa Rica – und sie tönt auch so: Nachtvögel, Grillen. Morgen stehe ich um 6 Uhr auf zum Birdwatching, na, sagen wir um sieben. Gute Nacht!

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